Leider habe ich heute mal nichts Lustiges zu berichten. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten Dinge erlebt, die meine Gefühlswelt doch ein wenig in Unordnung gebracht haben.
Ich arbeite bei der Solidarischen Erwerbsloseninitiative Kassel mit. Kurz S.E.K.! Wir betreuen Menschen, die Probleme mit den Ämtern wegen Hartz IV, AlG I oder Grundsicherung haben.
Wie gehen wir eigentlich mit statistischem Zahlenmaterial um?
Wie reagieren wir, z.B. auf folgende Zahlen –>
<- Insgesamt 1,2 Millionen Frauen sind arbeitslos
<- 56% von diesen sind Langzeitarbeitslos
<- 218 000 arbeitslose Frauen sind Alleinerziehend
<- Jede 5 arbeitslose Frau ist somit Alleinerziehend
<- 78% der erwerbslosen Frauen sind unter 25 Jahre
Ok! So was finden wir echt Scheiße!
Wir empfinden das Alles, als sehr ungerecht und finden, dass sich das irgendwie ändern muss. Aber in der Regel denken wir nicht weiter, groß über die Einzelschicksale der davon betroffenen Frauen nach.Hin und wieder verwenden wir diese Daten in Diskussionen und gehen auf Demos, die sich unter anderem auch mit dem Thema Erwerbslosigkeit befassen.
Doch etwas ganz Anderes ist es, wenn Mensch plötzlich eine junge allein erziehende Mutter kennen lernt, die mitten in dieser Misere steckt. Die – in ihrer Verzweiflung – nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll.
So ist es mir vor ein paar Wochen ergangen!
An einem Freitag, an dem sich unsere Erwerbsloseninitiative wie immer, in der Rothen Ecke traf, öffnete sich plötzlich die Tür und eine sehr junge Frau betrat sichtlich bedrückt den Raum. Als sie dann ihre Geschichte erzählte, wurde ich von Minute zu Minute wütender.
Die junge Frau berichtete, dass sie sich derzeit noch für einen Monat in Mutterschaftsurlaub befände. Eigentlich müsste sie zum nächsten 1sten wieder die Arbeit bei ihrem Arbeitsgeber aufnehmen. Sie habe aber noch immer keine geeignete Betreuungsmöglichkeit für ihr Kind gefunden. Schwierig sei dies vor allem, da bei ihrem Arbeitsgeber ein Schichtdienst unumgänglich sei. Der Arbeitgeber hatte sich daraufhin bereit erklärt, mit ihr eine der Situation angemessene Vereinbahrung zu treffen. Sie solle für ein Jahr in Teilzeit arbeiten, danach bestehe weiterhin die Möglichkeit wieder in Vollzeit einzusteigen.
Wow! Das ist auch nicht gerade normal, dass ein Arbeitgeber sich so sozial zeigt.
Doch wegen der Teilzeitarbeit sei sie letztendlich dazu gezwungen gewesen, sich beim Jobcenter zu melden, da sie nicht in der Lage sei, von einer Teilzeitentlohnung ihren und den Lebensunterhalt des Kindes zu bestreiten. So vereinbarte sie einen Termin beim Jobcenter, den sie dann auch voller Erwartung wahrnahm. Doch diese Erwartung wurde sehr schnell gedämpft. Als die Mitarbeiterin des Jobcenter sich die Vereinbahrung mit dem Arbeitgeber durchgelesen hatte, bemerkte sie kurz und knapp: ’’Diesen Teilzeitarbeitsplatz müssen sie kündigen! Da verdienen sie zu wenig! Sie müssen sich was anderes suchen“
Hammer!!!
Die arme Frau wirkte völlig am Boden zerstört und voller Verzweiflung: „Was soll jetzt werden! Wenn ich den Arbeitsplatz kündige? Was kommt da auf mich zu? Werde ich überhaupt, als allein erziehende Mutter wieder einen Arbeitplatz meiner Qualifikation entsprechend bekommen? Was wird aus mir und meinem Kind?
Mit diesen ganzen negativen Gedanken und Gefühlen schlug sich die jungen Mutter so lange herum, bis ihr ein Bekannter von der Solidarischen Erwerbsloseninitiative Kassel berichtete und ihr riet sich dort zu melden.
Wir waren nach der Erzählung zutiefst bewegt, sprachlos und wütend. Das war ein echter Hammer. Eine Frau soll eine Teilzeitarbeit kündigen, die ihr die Möglichkeit gibt, nach einem Jahr wieder in Vollzeit zu arbeiten? Im weiteren Gesprächsverlauf kamen wir schließlich überein, dass die junge Frau einen neuen Gesprächstermin vereinbaren sollte. Doch diesmal sollte sie ein Mitglied unserer Initiative begleiten.
Der jungen Frau war die Skepsis anzumerken, dass sich da noch was ändern könnte. Dennoch vereinbarte sie einen neuen Beratungstermin mit einer Betreuerin des Jobcenters. Bereits bei diesem Gang wurde sie von einer Mitstreiterin der Initiative begleitet.
Dann kam der Tag, an dem sich alles entscheiden sollte. Jetzt war es an mir, die junge Frau zu begleiten. Wir trafen uns kurz vor dem Termin vor dem Jobcenter, um uns noch kurz ein wenig abzusprechen. Die Stimmung dabei war sehr angespannt. Schließlich war es soweit! Wir betraten das Jobcenter mit gemischten Gefühlen und suchten schließlich das Zimmer der Betreuerin auf. Die Mitarbeiterin des Jobcenter bat uns Platz zu nehmen. Schüchtern begann nun die junge Mutter ihre Geschichte zu erzählen. Erzählte von ihren Bemühungen eine geeignete Betreuung für ihr Kind zu finden. Ging auf die Reaktion ihres Arbeitgebers ein und händigte schließlich der Beraterin, die schriftliche Vereinbahrung zwischen ihr und dem Arbeitsgeber aus.
Während die Mitarbeiterin sich nun intensiv die Vereinbarung durchlas, herrschte angespannte Stille. Die Spannung erreichte jetzt ihren Höhepunkt. Alles in mir verkrampfte sich und das Gesicht der jungen Mutter war kreidebleich geworden. Dann kehrte die Mitarbeiterin ihr wieder das Gesicht zu und sagte: „Das ist doch ganz prima! Dann besteht als Bedingung für ihren Antrag auf Leistungen von Harzt IV / ALG II darin, dass sie sich bemühen diesen Arbeitplatz zu erhalten und diesen so bald als möglich, wieder in Vollzeit auszuüben!“
Im ersten Moment konnte ich gar nicht glauben, was ich da gerade gehört hatte. Auch die junge Mutter, sah mich ungläubig an. Aber wir hatten uns keineswegs verhört. Kurz darauf fertigte die Mitarbeiterin eine Wiedereingliederungsvereinbahrung, mit eben diesem Sachverhalt und legte das Dokument der jungen Frau und Mutter zur Unterschrift vor. Mit einem leichten Nicken gab ich dieser zu verstehen, dass sie ohne Bedenken unterschreiben könne.
Kurz darauf, wir hatten das Jobcenter gerade verlassen, übermannte uns das Glück und wir fielen uns erleichtert in die Arme und drückten uns ganz fest. Ich konnte die Erleichterung der jungen Mutter, ohne dass etwas zwischen uns gesagt wurde, fühlen. Ihr, wie auch mir traten kleine Tränchen in die Augen.
Als ich schließlich zu ihr sagte, dass sie mich ja gar nicht gebraucht hätte, bekam ich zur Antwort, dass dies keinesfalls so sei. Allein meine Anwesenheit hätte ihr Mut gemacht. Mit mir habe sie sich nicht so allein und ausgeliefert gefühlt. Kurz! Schon meine bloße Anwesenheit sei für sie sehr wichtig gewesen.
Den ganzen Tag durchflutete mich ein unbestimmtes Glücksgefühl. Dieser eine Moment ging mir nicht mehr aus Kopf. Zuhause trat mir, immer wenn ich daran denken musste, ein Tränchen ins Auge. Nach und nach durchmischten sich jedoch diese Gefühle, mit Emotionen des Ärgers und gar der Wut.
Was wäre denn gewesen, wenn die junge Mutter uns nicht getroffen hätte? Wie vielen allein erziehenden Müttern geht es ebenso? Sie kommen ins Amt und begegnen Mitarbeiterin EINS? – !!!Kündigen, sie verdienen zu wenig!!! –
Glücksgefühl, Mitleid, Ärger und Wut durchströmten mich im stetigen Wechsel. Dieses Erlebnis werde ich nie mehr vergessen! Es hat mich tief bewegt.
Aus einer Statistik war ein menschliches Schicksal geworden!
Tja!
Es ist ein schönes Gefühl etwas bewirkt zu haben! Doch da ist auch noch ein Gefühl der Wut. Der Wut, auf ein ungerechtes Gesellschaftssystem und einen Staat, der den Umgang mit erwerblosen Menschen und die Leistungen für Bedürftige schönredet.
Das muss sich ändern!
Die S.E.K. – die Solidarische Erwerbsloseninitiative Kassel ist da ein erster Anfang. Sie steht für eine gute Sache. Wir beraten nicht nur, sondern werden uns auch gegen die Missstände des Hartz IV Systems zur Wehr setzen.
– Weg mit Hartz IV
– Keine Sanktionen mehr gegen Erwerbslose
Es braucht ein solidarisches antikapitalistisches Gesellschaftssystem! Am besten ein Basisdemokratisches!